Drechselprojekte

"Ist das dein Selbstportrait?" fragt mich ein Freund, der mein gerade fertiggewordenes Stehaufmännchen entdeckt hat. Der Vergleich gefällt mir: Ein ernsthafter Drechsler - egal, ob Profi oder Heimwerker - darf sich nicht so leicht aus der Bahn werfen lassen. Auch wenn mehrfaches Probieren nicht zum erwarteten Ergebnis geführt hat, muss er möglichst schnell wieder aufrecht vor seiner Drehbank stehen, um das Gewünschte schließlich doch zu meistern.- Übrigens: Die Haarpracht meines Stehaufmännchens könnte etwas dichter sein, aber ich will die wenigen Fellreste, die ich noch besitze, sparsam verwenden: In meinen Kindertagen gab es in nahezu jeder Kleinstadt mehrere Kürschnereien, wo ich mir Fellreste für Bastelzwecke erbitten konnte. Heutzutage scheint dieser Handwerksberuf beinahe völlig verschwunden zu sein.
- Und wie ist es eigentlich um das Stehaufmännchen bestellt? Ist dieses alte Kinderspielzeug etwa auch vom Aussterben bedroht? - Nun, falls Sie über eine Drechselbank verfügen, können Sie etwas dagegen tun: Drechseln Sie doch noch heute ein Stehaufmännchen! Sie werden dabei viel Spaß haben und ihrem Ziel, an der Drechselbank selbst ein "Stehaufmännchen" zu werden, wieder einen guten Schritt näher kommen.
Wer - wie ich - als gut "behütetes" Einzelkind aufgewachsen ist, möchte auch im Alter gut "behütet" sein. Und: Wer - wie ich - schon als Kind an Vaters Drechselbank üben durfte, sollte doch irgendwann im Stande sein, sich für sein - längst kahl gewordenes - Haupt einen passenden Hut zu drechseln!
Als ich meine Frau kürzlich zum Lebensmittel-Discounter in unserer Nähe begleite, entdecke ich auf dem Angebotstisch preiswerte zylindrische Deko-Gläser ca. 120 mm Durchmesser und 200 mm hoch. Das wäre doch die halbe Miete für ein Drechselprojekt welches ich schon länger in meiner to-do-App gespeichert habe! Grinsend füge ich diesen Artikel unserem Einkaufswagen hinzu. Meine Frau schaut mich fagend an, aber eigentlich weiß sie, dass ich über "ungelegte Eier" sowieso nicht rede.
Das ausgeliehene alte Spinnrad steht als Referenzobjekt auf meiner Werkbank. Jedes Detail habe ich mir genauestens angesehen, ausgemessen, skizziert und mir Gedanken gemacht, welche Probleme beim Anfertigen der einzelnen Teile entstehen könnten.
hiddenLINKPilz-Puzzle
Das Pilz-Puzzle ist nach einer Anregung aus
David Springett's Buch "Woodturning Trickery" entstanden. Der ringförmige Verschuß funktioniert etwa nach dem Prinzip der Kindersicherung an den Verschlüssen von Flaschen für Haushaltchemikalien: Der Pilzkopf läßt sich nur abschrauben, wenn man den frei beweglichen Stiel und den Ring fest zusammendrückt und gleichzeitig eine Drehbewegung ausführt.
Vor einigen Jahren fand ich in einem deutschen Heimwerkermagazin eine Schritt- für Schritt- Anleitung zum Nachbau einer preisgekrönten Schale eines englischen Drechsler bei der Boden und Rand durch eine Anzahl interessant geformten Säulen mit geknickter Drehachse verbunden waren.
Ohne Fleiß kein Preis
Ein „Zauberlehrling“ muss schon eine Weile üben, bevor er die Fingerfertigkeit besitzt, mit bloßen Händen vor den Augen seines staunenden Publikums eine Münze verschwinden zu lassen. Mit dem passenden gedrechselten Zaubergerät wird der Trick jedoch zum Kinderspiel. Allerdings: Wer nicht gerade ein Zauberer ist, muss auch das Drechseln erst tüchtig üben.
Die Verordnung über die Berufsausbildung zum Drechsler schreibt vor, dass der Auszubildende seine praktischen Kenntnisse außer durch die Anfertigung eines Gesellenstückes auch durch die Anfertigung einer Arbeitsprobe vor der Prüfungskommission nachweisen muß.
In einer kleinen Broschüre mit dem Titel "Die Arbeitsprobe" hat Diplomdesigner Prof. G. Böckelmann, Hildesheim, die Werkzeichnungen von interessanten kleinen Drechselobjekten zusammengefaßt, die in vergangenen Jahren von der Drechslerinnung Hannover zu den Gesellenprüfungen im Bundesland Niedersachsen verlangt wurden. Die freundliche Widmung "Gutes Gelingen", die mir Herr Prof. Böckelmann in mein Exemplar geschrieben hatte, war für mich Verpflichtung und Anreiz, all die faszinierenden Spielgaben, Geduldspiele und Gebrauchsgegenstände einmal übungshalber nachzuarbeiten.
1989/1990 - Wendezeit: Mal raus aus dem Hobbykeller! Endlich die neu gewonnene Reisefreiheit genießen! - Ja, aber mein Hobby ganz "an den Nagel zu hängen" , war für mich nie eine Option! Dann eher eine Flucht nach vorne! Nachdem ich mir einige Male den damals oft gehörten Satz: "Wir Ossis sind auch nicht dumm!" aufgesagt hatte, hatte ich damit wohl genügend Mut angesammet, um bei der Drechslerinnung Niedersachsen - In den neuen Bundesländern gab es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr/noch nicht die entsprechenden Strukturen! - anzufragen, ob ich dort als externer Prüfling meine Drechslergesellenprüfeng ablegen darf!
Zu den zahlreichen Übungsstücken, die ich angefertigt habe, um mich auf meine Drechsler- Gesellenprüfung vorzubereiten, gehörten auch die gedrechselten Teile für ein kleines Spielzeugkaleidoskop. Es versteht sich wohl von selbst, dass diese Arbeit bei mir den Wunsch weckte, die Einzelteile durch ein entsprechendes Innenleben zu ergänzen.
Die Anregung zu meiner Leuchterspinne habe ich dem Klassiker unter den Drechslerfachbüchern „Das Drechslerwerk“ von Fritz Spannagel entnommen. Den Mittelteil habe ich zwischen Vierzack und Körnerspitze gedreht. Scharfes Werkzeug und schneidende Arbeitsweise sind erforderlich, um Holzausrisse bei dem ansonsten sehr gut zu drechselnden Lindenholz zu vermeiden. Die Unterdrehung am unteren Ende, die an den Hut eines Pilzes erinnert, ist eine kleine Herausforderung, die das ansonsten simple Werkstück optisch sehr aufwertet.
Zur Erfindung des Weihnachts-Hängeleuchters habe ich übrigens meine eigene Theorie: Ich denke, ein tüchtiger Hobbydrechsler musste nach Jahren kreativen Schaffens feststellen, dass alle Stellflächen und die Wände in der Wohnung mit seinen Exponaten belegt waren. Ein Blick zur Decke brachte im wahrsten Sinne des Wortes die Erleuchtung: Dies könnte die Geburtsstunde des Hängeleuchters gewesen sein!